Sonntag, 26. August 2012
Alltägliches Gedenken
Früh morgens steh ich auf, schalte das Radio zum Frühstück ein und hören, dass heute der Holocaust Gedenktag ist. Während des Frühstücks kommen zwei Beiträge zu diesem Thema, wobei sich einer dieser Beiträge nach einer halben Stunde bereits wiederholt. Nach dem Beitrag über 6 Millionen getötete Juden, nazideutschen Kriegsverbrechern und ewiger Schuld, mach ich mich mit gedrückter Stimmung auf den Weg zur Arbeit. An der Haltestelle der Straßenbahn angekommen, schreit mich ein Neonlicht hinterleuchtetes Werbeplakat sprichwörtlich an. Eine hagere Gestalt, mit riesigen blutunterlaufenen Augen und offenem Mund starrt mich mit wahnsinnigem Blick an. Darunter der Titel „Verbotene Kunst der 30er Jahre“. Ich kann es mir einfach nicht verkneifen und sage zu einer mit wartenden, älteren Frau, die ihren Blick gerade angewidert von dem Plakat abwendet: „Warum diese Kunst wohl verboten war? Sie erwidert meine ironische Frage nur mit einem müden Lächeln.

Als wir in die Bahn einsteigen und uns setzen, sehe ich unter dem Titelbild der Zeitung, meines Gegenüber die Überschrift „Verband der Sinti und Roma fordert zum Holocaustgedenktag Mahnmal für die Ermordeten des zweiten Weltkrieges. Nun gut denke ich mir, warum denn nicht auf ein paar mehr kommt es nun auch nicht mehr an. Während der Fahrt kommen wir, passend zum Gedenktag, auch am Holocaustmahnmal vorbei. Beim Ausstieg aus der Bahn, kaum ein paar Schritte gegangen, stolpere ich und kann mich gerade noch rechtzeitig abfangen, um nicht längs des Fußwegs zum Liegen zu kommen. Empört über die unebenen Fußwege beginne ich über die städtische Verwaltung zu schimpfen, als mir eine junge Frau sichtlich empört zu verstehen gibt, dass dieser erhabene Pflasterstein mit Absicht eingebracht wurde, quasi als Kunstwerk. Der sogenannte Stolperstein solle an die vielen, ermordeten Juden erinnern. Nach kurzem Moment verwerfe ich den Gedanken einer Diskussion über Sinn oder Unsinn dieser Art Kunst und frage mich nur noch, was gewesen wäre, wenn die Großmutter dieses jungen Fräuleins, vielleicht selbst mosaischen Glaubens, darüber gestolpert wäre und sich den Arm gebrochen hätte.

Auf dem Weg ins Büro komme ich, wie jeden Tag an der, mit Graffiti verschmierten Gedenktafel, für die gefallenen Soldaten des letzen WK vorbei. Entnervt über den Beginn des Tages komme ich im Büro an und muss zu meinem Erstaunen die Nachricht vernehmen, dass in unserer Abteilung Freikarten für den morgigen Kinotag vergeben wurden. In der Hoffnung, dass bei den morgigen, neuen Filmen etwas Lustiges dabei ist, setze ich mich in der Pause an den PC und schaue das Kinoprogramm durch. Nach 15 Minuten Recherche ist die Pause vorbei und meine Laune noch um einiges schlechter. Von allen drei neuen, Filmen handelt der erste über die Verbrechen der Nazideutschen, während des zweiten Weltkrieges, der zweite über ein Schwein in Israel und der dritte, kein deutscher Film, sondern eine amerikanisch-japanische Produktion, über einen tibetischen Freiheitskämpfer, gegen die chinesischen Kommunisten.

Zum Feierabend nehme ich die S-Bahn, da ich noch vor Ladenschluss zur Stadtmitte möchte. Auf dem Bahnsteig flimmern zwischen den Werbespots der Bildzeitung, mit den stumpfsinnigen Kommentaren ehemals berühmter, nun offenbar gescheiterter Persönlichkeiten, die Nachrichten des heutigen Tages. Mit fettgedruckter Unterschrift, in grenzwertigem Deutsch erscheint, unter anderen folgender Satz im Newsticker. „Fünf Tote und 12 Verletze, islamistische, fundamentalistische Terroristen, nach Präventivschlag alliierter Friedenstruppen in Afghanistan. Während ich mich noch mit der Frage beschäftige, ob die Steigerung von fundamental wirklich fundamentalistisch ist, fährt auch schon der Zug ein und ein beginnender Beitrag, zu einem Redeausschnitt im Bundestag, anlässlich des Holocaustgedenktages bleibt mir glücklicherweise erspart.

Zuhause angekommen warten bereits meine Frau und die Kinder mit dem Essen auf mich. Während des Essens sprechen wir, wie häufig über den erlebten Tag und über die Schule. Dabei sagte eines, dass sie im Geschichtsunterricht heute den zweiten Weltkrieg begonnen haben und dieses spannende Thema bis zum Ende des Jahres beibehalten werden. Auf meine Frage hin, ob sie nicht erst vor vier Wochen bei den alten Griechen waren, erwidert mein Sohn. „Ja schon, aber in der letzen Woche waren Leute vom Fernsehen da, um einen Livebeitrag über das Anne-Frank-Gymnasium zu senden. In einer Runde wurde die Frage, nach der bedeutenden Hinterlassenschaft der Anne Frank gestellt, worauf eines der Kinder antwortete, es sei ihre Liebensgeschichten gewesen. Daraufhin hat die Schulleitung beschlossen, den Geschichtsunterricht umzugestalten und das Thema des zweiten Weltkrieges auszuweiten.

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